Pflege prozesshaft gestalten

Kapitel 2: Der Pflegeprozess als zentrales Element beruflicher Pflege

Autoren: Helge Gustke, Lars Pongrac & Miriam Struve

Geschichte des Pflegeprozesses

Kurze Übersicht

 

Entwicklung des Pflegeprozesses 1967 in den USA.

 

In Deutschland:

  • Diskussion um den Pflegeprozess seit Beginn der 80er Jahre
  • 1985 wurde explizit gesetzlich formuliert, dass eine geplante Pflege durchgeführt werden muss
  • Als Instrument der geplanten Pflege etablierte sich die Pflegeplanung, die sich direkt aus dem Pflegeprozess ableitet
  • Heute wird der Nachweis von Qualität in der Pflege gesetzlich gefordert, dabei spielen Pflegeprozess und Dokumentation eine wichtige Rolle

Ziele des Pflegeprozesses:

  • Pflegequalität verbessern
  • Professionalisierung vorantreiben (berufliche Autonomie, wissenschaftliche Objektivierung)
  • Pflege effektiver und kostengünstiger gestalten

Die Geschichte des Pflegeprozesses beginnt in den USA. Dort entwickelte sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Auffassung darüber, professionelle Pflege als Prozess zu begreifen. Viele bekannte – meist – Pflegetheoretikerinnen trugen maßgeblich dazu bei, die Entwicklung des Pflegeprozesses von den ersten medizinischen Fallbesprechungen bis hin zu einer modernen prozessorientierten Pflegeplanung heranzutreiben. So wurde zunächst ein Problemlösungsprozess entwickelt, der aus drei Schritten bestand: Assessment, Planung und Evaluation. Im Laufe der Zeit wurde der Pflegeprozess (je nach Autor) auf vier, fünf oder sechs Schritte erweitert und fand als Grundlage einer effektiven Pflege eine weitgehende Anerkennung. Im Jahre 1974 wurde das 4-schrittige Pflegeprozessmodell der amerikanischen Pflegewissenschaftlerinnen Helen Yura und Mary B. Walsh als Bestandteil der pflegerischen Arbeit von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgeschrieben. Seitdem gilt es als eine der wenigen weltweit etablierten Arbeitstechniken in der professionellen Pflege. Doch auch dieses sicherlich sehr bekannte Modell hat sich nicht überall durchgesetzt. So stehen heute viele unterschiedliche Modelle mit unterschiedlichen Phasen nebeneinander, wobei auch die Begrifflichkeiten der einzelnen Phasen von Modell zu Modell variieren.

Methodisches Arbeiten spielt im Alltag eine große Rolle. Wann immer Menschen auf Probleme treffen, wird ein Prozess in Gang gesetzt, der das Problem identifiziert, nach Handlungsalternativen sucht und die durchgeführte Handlung hinsichtlich ihrer Effektivität bewertet. In der beruflich ausgeübten Pflege wird die bewusste, systematische, zielgerichtete und prozesshafte Methode als Pflegeprozess bezeichnet.

Impuls 1: Stelle Vermutungen über die Vorteile einer prozesshaften Pflege an! Kannst du dir auch Nachteile vorstellen? 

 

Der Pflegeprozess – ein Problemlösungs- und Beziehungsprozess

Der Pflegeprozess gilt als der zentrale Denk- und Handlungsansatz in der Pflege. Er bietet Pflegefachfrauen und -männern eine Art roten Faden für das im Alltag der Pflegeberufe so wichtige systematische und kritische Denken und Handeln. Aufgrund seiner geordneten Schrittfolge ermöglicht er es, im Rahmen der professionellen Fallarbeit, mit größtmöglicher Rationalität pflegerische Probleme zu lösen. Somit lässt sich der Pflegeprozess auch als Problemlösungsprozess bezeichnen.

Der modifizierte Pflegeprozess (Gustke & Pongrac, 2020)

Merke: Ein systematischer Problemlösungsprozess kommt in den Gesundheitsberufen immer dann zur Anwendung, wenn aktuelle bzw. potenzielle Gesundheitsprobleme identifiziert, verhütet oder behandelt werden sollen. Mit anderen Worten: Der Pflegeprozess ermöglicht die zielgerichtete Planung, Implementierung und Evaluation einer individuellen pflegerischen Betreuung.

 

Auch wenn beruflich Pflegende über einen noch so strukturierten Ansatz verfügen, bleibt dieser hinter seinen Möglichkeiten zurück, wenn die menschliche Beziehungsarbeit fehlt. Das heißt, der Pflegeprozess muss immer auch der fürsorglichen Seite der Pflege Rechnung tragen und darf die professionelle Pflegebeziehung nicht vernachlässigen. In diesem Zusammenhang wird auch vom Pflegeprozess in seiner Funktion als Beziehungsprozess gesprochen. Denn erst die Fürsorge bzw. die zwischenmenschliche Beziehung schafft die Voraussetzungen für Vertrauen, das es dem Klienten ermöglicht, die angebotene Hilfe anzunehmen und sich umsorgt zu fühlen. So liefert der Pflegeprozess einen Rahmen, innerhalb dessen Pflegefachfrauen und -männer die einzigartige Kombination von Wissen, Fertigkeiten, und Fürsorge anwenden können. 

 

Merke: Die professionelle Beziehungsgestaltung ist eine wichtige Voraussetzung für das gelingen des Pflegeprozesses als Problemlösungsprozesses. 

Aufgabe 3:

  1. Erstelle eine Mindmap mit Dingen, auf die du im Falle einer plötzlichen Pflegebedürftigkeit nicht verzichten könntest, bzw. worauf du persönlich einen besonderen Wert legen würdest.
  2. Tausche dich mit einer Lernpartnerin bzw. einem Lernpartner über deine Wertvorstellungen und Erwartungen aus.
Für den Pflegeprozess als Beziehungsprozess ist die Kommunikation auf Augenhöhe zentral. Der Pflegenutzer muss als gleichwertiger „Partner“ dazu befähigt werden tragfähige Entscheidungen treffen zu können. Seine Meinung, Wünsche und Bedürfnisse sind handlungsleitend für die Zusammenarbeit zwischen professionell Pflegenden und den Pflegenutzern. Hier sind zwei Begriffe zentral, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Diskussion um die Gesundheitskompetenz der Nutzer des Gesundheitssystems verstärkt in den Blick geraten sind: Das Shared Decision-Making und der Informed consent. Hierbei handelt es sich um zwei partizipatorische Ansätze der Entscheidungsfindung, die die Reflexion, Diskussion und den Austausch zwischen Pflegenutzer und Gesundheitsdienstleistern (in diesem Fall professionell Pflegenden) in den Mittelpunkt stellen. 

Shared Decision-Making ist ein Modell der partnerschaftlichen Gesundheitsdienstleister-Klienten-Beziehung, die gekennzeichnet ist durch einen gemeinsamen und gleichberechtigten Entscheidungsfindungsprozess.

Informed consent (deutsch informierte Einwilligung, informierte Zustimmung) beschreibt eine Einwilligung nach erfolgter Aufklärung. Sie beinhaltet die Forderung der Aufklärung vor jeder diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Maßnahme und die Berücksichtigung der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des Klienten im Entscheidungsprozess.

Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag angemessene Entscheidungen zur Gesundheit treffen zu können.

Mit Blick auf die oben genannten Ansätze der Entscheidungsfindung lässt sich auch die moralische Verpflichtung professionell Pflegender erkennen, die sich aus den diversen Berufsstandards der Pflegeberufe ergibt und pflegerisches Tun in ethisch und kulturell spezifischer Art und Weise einfordert. Die Wahrung der Autonomie des Menschen ist hier als oberstes Gebot zu nennen. Sie setzt Vertraulichkeit und Aufrichtigkeit aufseiten desjenigen, der über einen Wissensvorsprung verfügt, voraus und wird im Rahmen des Pflegeprozesses als Beziehungsprozess entsprechend eingelöst.

Aufgabe 4: Wie siehst du das Verhältnis zwischen dem Pflegeprozess als Problemlösungs- und  Beziehungsprozess? Welcher Anteil ist vielleicht sogar wichtiger? Begründe deine Antwort argumentativ.

Berufliche Pflege wird in der Regel in einem Team bestehend aus mehreren Pflegepersonen, aufgeteilt auf mehrere Dienstschichten (i. d. R. Früh-, Spät- und Nachtdienst) ausgeübt. Die dabei erforderliche Versorgungskontinuität kann nur dann sichergestellt werden, wenn alle pflegerelevanten Informationen über den jeweiligen Pflegenutzer jederzeit für alle Teammitglieder zugänglich und nachvollziehbar sind. Der schriftlichen Dokumentation des gesamten Pflegeprozesses kommt in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zu. Sie ist nicht nur aufgrund gesetzlicher Vorgaben und zur Schaffung eigener Rechtssicherheit unbedingt erforderlich, sondern bietet darüber hinaus eine Möglichkeit, die Inhalte der Pflege und die erbrachte Pflegeleistung im interdisziplinären Team sichtbar und damit für qualitätssichernde Maßnahmen zugänglich zu machen.

In den nachfolgenden Kapiteln wird der Pflegeprozess Schritt für Schritt vorgestellt:

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Dieses Lernarrangement zitierst du so:

Gustke, H., Pongrac, L. & Struve, M. (2021). Pflege prozesshaft gestalten. TafakariHub. https://tafakari.de/tafakarihub

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