Kapitel 4: Immer der Reihe nach? / Piagets Stufenmodell der kognitiven Entwicklung
Autoren: Kathrin Niehoff & Lars Pongrac
Bildimpulse
Aufgabe: Bearbeitet die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Piaget mithilfe einer heuristischen Matrix, in arbeitsteiliger Gruppenarbeit. Nutzt dazu den von eurer Lernbegleiterin bzw. eurem Lernbegleiter bereitgestellten Internetlink (z. B. Google Docs, edupad etc.) oder ladet euch die digitale Matrix weiter unten in diesem Kapitel herunter. Einen kleinen „Exkurs zur heuristischen Matrix“ findet ihr weiter unten im Lernpaket.
Stufe 1: Sensumotorische Stufe
Stufe 2: Präoperative Stufe
Stufe 3: Konkret-operatorische Stufe
Stufe 4: Formal-operatorische Stufe
Tipp: Die Karten des Memo-Spiels (siehe Download unten) enthalten zentralen Begriffe und Aspekte der einzelnen Stufen. Die Karten können dir helfen, die heuristische Matrix zu füllen.
Piaget ging davon aus, dass die kognitive Entwicklung diskontinuierlich in vier qualitativ unterschiedlichen Stufen verläuft. Sensumotorische Stufe (0 – 24 Monate), präoperative Stufe (18 Monate – 7 Jahre), konkret-operatorische Stufe (7 – 12 Jahre) und formal-operatorische Stufe (ab 12 Jahre). Beim Übergang von einer Stufe zur anderen werden die bisherigen Konstruktionen und Interpretationen der Umwelt grundlegend neu organisiert. Oder anders ausgedrückt, mit zunehmenden Alter verändert sich das kindliche Denken vom Konkreten hin zum Abstrakten und vom Einfachen hin zum Differenzierten. Für die Kinder bedeutet das, sie erwerben beim Übergang von einer Stufe zur anderen – mit zunehmendem Alter – qualitativ neue Möglichkeiten, die Welt zu begreifen. In diesem Zusammenhang geht Piaget von folgenden Grundannahmen aus:
Das kognitive Wachstum in der sensumotorischen Stufe beruht hauptsächlich auf Sinneserfahrungen und motorischen Handlungen (daher der Name der Stufe: sensumotorisch). Ausgehend von überwiegend reflexhaften Handlungen durchläuft der Säugling sechs Phasen, in denen das Verhalten zunehmend flexibler und zielorientierter wird:
Phase 1: Bestätigung angeborener Reflexe (von der Geburt bis ca. 1. Monat)
Diese Phase betrachtet Piaget als eine Art Vorstufe der eigentlichen sensumotorischen Entwicklung. Die angeborenen Reflexe laufen zunächst noch relativ starr ab und werden nach und nach duch ständige Wiederholung bzw. Bestätigung auf immer mehr Umweltobjekte angewandt.
Beispiel: Das Kind saugt nicht nur an der Brust der Mutter, sondern auch an der Bettdecke etc.
Vereinfacht kann man sagen, dass es sich bei dieser Phase um eine Art Übungsphase angeborener Reflexe handelt, die jedoch noch überwiegend unverändert ausgeführt werden. Eine Anpassung an die Umwelt ist in dieser Phase nur andeutungsweise beobachtbar. Piaget geht davon aus, dass diese angeborenen Reflexe des Säuglings die Bausteine für die spätere kognitive Entwicklung darstellen, indem z. B. der Saugreflex als Ausgangspunkt für den Aufbau des Saugschemas dient.
Phase 2: Primäre Kreisreaktionen (ca. 1. bis ca. 4. Monate)
In dieser Phase ruft der Säugling durch zunächst zufällige Verhaltensweisen verschiedene Effekte hervor. Durch vielfaches Wiederholen werden die Verhaltensweisen immer stabiler und manifestieren sich zu ersten Gewohnheiten.
Beispiel: Bestimmte Objekte im Umfeld des Kindes werden immer wieder betrachtet und bespielt. Dabei nutzt das Kind mitunter auch die Zunge und die Lippen, um Bewegungen und damit verbundene Effekte (z. B. Geräusche) auszulösen. Ist dabei zufällig ein interessanter Effekt z. B. ein Geräusch entstanden, versucht das Kind diesen durch das erneute Vollbringen der Verhaltensweise erneut zu erzeugen.
Kennzeichnend für deise Phase ist, dass die interessanten Effekte am eigenen Körper und nicht in der Umwelt erzielt werden. Die verstärkte Hinwendung zur Außenwelt ist erst in der nächsten Phase kennzeichnend. Des Weiteren entwickelt das Kind in dieser Phase allmählich die Fähigkeit, verschiedene Aktivitäten zu koordinieren, was als weitere wichtige Voraussetzung für die gesamte weitere Entwicklung angesehen werden kann.
Beispiel: Sehen und Greifen
Dem Kind gelingt es mit der Zeit Gegenstände, die es sieht, auch zu ergreifen, da die Hand und der zu ergreifende Gegenstand gleichzeitig wahrgenommen werden kann.
Piaget spricht in diesem Zusammenhang von der Koordination des Seh- und Greifschemas. Das Greifen gilt als eine für die menschliche Entwicklung besonders wichtige Form der Umweltbemächtigung.
Phase 3: Sekundäre Kreisreaktionen (ca. 4 bis ca. 8 Monate)
In dieser Phase nehmen die Spontanaktivitäten des Säuglings weiter zu und die Verhaltensweisen werden weiterhin überwiegend deshalb ausgeführt, um interessante Effekte zu erzeugen. Der wesentliche Entwicklungsfortschritt besteht darin, dass die Effekte nicht mehr nur am eigenem Körper, sondern auch in der Umwelt erzielt werden.
Beispiel: Das Kind stößt mit seiner Hand an ein über dem Kinderbett aufgehängtes Mobile, das sich zu bewegen beginnt. Nun versucht das Kind immer wieder diese Bewegung hervorzubringen und den Effekt auch bei anderen Gegenständen zu erzeugen.
Die Erprobung und Erforschung der Außenwelt stellt in diesem Zusammenhang das qualitativ Neue dieser Phase dar. Piaget sieht hier erste Formen sogenannten intentionalen Verhaltens, das als zentrales Merkmal für intelligentes Verhalten gilt. Mit Intentionalität ist eine Mittel-Ziel-Relation gemeint, die in dieser Phase aber noch überwiegend zufällig entdeckt und dann wiederholt wird.
Beispiel: Das Kind entdeckt zufällig, dass es mit einer Rassel in der Hand und einer schnellen Auf- und Abbewegung ein Rasselgeräusch erzeugen kann. Das schnelle Bewegen der Rassel mit der Hand wird dann zum Mittel, um das Ziel der Geräuscherzeugung zu erreichen.
Phase 4: Intentionales Verhalten (ca. 8 Monate bis 12 Monate)
In dieser Phase zeigt sich um den 8. Lebensmonat herum verstärkt intentionales Verhalten im engeren Sinne. Das Kind setzt jetzt auch Verhaltensweisen ein, die nicht nur auf das eigentliche Ziel ausgerichtet sind, sondern auch als Mittel zum Zweck dienen.
Beispiel: Das Kind möchte erneut mit seiner Rassel ein Rasselgeräusch erzeugen. Die Rassel ist jedoch zwischen zwei weiteren Spielzeugen eingeklemmt und kann nur leicht bewegt werden. Das Kind wird nun versuchen zunächt die Rassel zu befreien und dabei verschiedene Möglichkeiten ausprobieren. Führt eine Verhaltensweise zum Erfolg, wird diese auch in ähnlichen Situationen eingesetzt und erprobt.
Die systematische Anwendung verschiedener Handlungsschemata auf den gleichen Gegenstand ist in dieser Phase das besondere Kennzeichen. Das Kind versucht, alles einzusetzen was es kann, um seine Umwelt zu bewältigen.
Beispiel: Stößt das Kind bei seinen Entdeckungen z. B. auf einen kleinen Pappkarton, wird es sich in ganz unterschiedlicher Art und Weise mit seinem Fund auseinandersetzen. So wird es z. B. danach greifen, die Pappe in den Mund nehmen, darauf schlagen und den Karton wegwerfen usw.
Phase 5: Tertiäre Kreisreaktionen (ca. 12 bis 18 Monate)
In dieser Phase beginnt das Kind aktiv zu experimentieren. Dazu wird das Verhalten systematisch variiert und neue Verhaltensweisen ausprobiert. Das Kind entdeckt so nach und nach wann und warum bestimmte Ereignisse auftreten.
Beispiel: Das Kind experimentiert mit seinen Spielzeugen, indem es diese z. B. mit Schwung auf den Boden wirft oder sanft fallen lässt und dann beobachtet was passiert. Auch neue Verhaltensweisen werden genau beobachtet. So könnte das Kind z. B. entdecken, dass es durch ziehen an der Tischdecke einen entfernten Gegenstand zusich hin bewegen kann ohne den Arm auszustrecken.
Dieses Experimentieren wird in dieser Phase aber noch nicht gedanklich vorbereitet, sondern geschieht im konkreten Handeln. Erst in der nächsten Phase beginnt das Kind seine Experimente von der Handlungsebene auf die Vorstellungsebene zu verlagern und damit innerlich d. h. gedanklich vorzubereiten.
Phase 6: Übergang zur Vorstellung (ca. 18 bis 24 Monate)
In dieser Phase entwickelt das Kind die Fähigkeit Handlungen innerlich in seinen Vorstellungen auszuprobieren. Das heißt, Handlungen können geistig vorweggenommen (antizipiert) werden und Probehandlungen sind nicht mehr nur im unmittelbaren Tun möglich, sondern auch in der Vorstellung. Das Kind ist somit in der Lage innere Repräsentationen willkürlich abzurufen. Diese Unabhängigkeit und Ungebundenheit gegenüber den äußeren, nur schwer vom Subjekt bestimmbaren Gegebenheiten ermöglicht eine wesentlich schnellere, gezieltere, flexiblere und intelligentere Anpassung an neue Situationen und stellt einen enormen Entwicklungsfortschritt dar.
Impuls: Überlege dir konkrete Beispiele für jede Phase der sensumotorischen Entwicklung. Dies wird dir Helfen die „kleinen“ Unterschiede besser zu verstehen und die Phasen auseinanderzuhalten.
Zusammenfassung: Das sensumotorische Stadium erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren nach der Geburt. Im ersten halben Jahr beruht ein Großteil des Verhaltens des Säuglings auf einer Reihe von angeborenen Schemata (Saugen, Greifen, Schieben etc.). Im ersten Lebensjahr werden die sensumotorischen Sequenzen verbessert, kombiniert, koordiniert und integriert, sie werden vielfältiger wenn Kinder entdecken, dass ihre Handlungen sich auf äußere Ereignisse auswirken. Eine zentrale kognitive Funktion, die während dieser Zeit erworben wird, ist die sogenannte Objektpermanenz – die Fähigkeit, mentale Repräsentationen von nicht vorhandenen Objekten auszubilden. Der Begriff Objektpermanenz bezieht sich dabei auf das Wissen des Kindes, das Objekte unabhängig von seinen Handlungen oder seinem Bewusstsein existieren.
Beispiel: In den ersten Monaten folgen Kinder Objekten (Personen und Gegenstände) mit den Augen. Sobald das Objekt aus dem Blickfeld verschwunden ist, wenden sich die Kinder ab, als ob die Objekte auch aus ihrem Bewusstsein verschwunden sind. Das Kuckuckspiel, welches Erwachsene gerne mit kleinen Kindern spielen beruht auf der bei kleinen Kindern noch nicht ausgebildeten Objektpermanenz.
Erst mit etwa drei Monaten fangen Kinder an, den Ort weiter zu beobachten, an dem die Objekte verschwunden sind. Zwischen acht und zwölf Monaten beginnen Kinder mit der Suche nach den verschwundenen Objekten und etwa im alter von einem Jahr besteht bei Kindern keine Unsicherheit mehr darüber, dass die „nicht-sichtbaren“ Objekte existieren.
Unterschiede besser zu verstehen und die Phasen auseinanderzuhalten.
Die in der sensumotorischen Stufe entwickelte symbolische Repräsentation, d. h. die Fähigkeit, auch aktuell nicht vorhandenen Objekte und Ereignisse durch Bilder und Symbole mental zu repräsentieren (siehe auch Objektpermanenz), wird zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr immer weiter entwickelt, sodass eine wesentlich flexiblere Auseinandersetzung mit der Umwelt und dem eigenen Verhalten ermöglicht wird. Trotzdem sollten, die im kindlichen Denken vorhandenen Grenzen nicht übersehen werden: Denn auch zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr bleibt das kindliche Denken noch stark an die Anschauung gebunden. Piaget spricht in diesem Zusammenhang auch vom „anschaulichen Denken“. Das, was innerpsychisch repräsentiert ist, kann nicht beliebig gedanklich verändert werden. Logische Operationen wie z. B. gedankliche Umkehrung sind noch nicht möglich. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch vom irreversiblen Denken, d. h. das Denken ist nicht umkehrbar und bleibt relativ starr. Zudem lassen sich verschiedene „Denkfehler“ beobachten:
So zeigen Kinder dieser Entwicklungsstufe z. B. eine Zentrierung. Das heißt, die kindliche Aufmerksamkeit kann nur auf einen oder wenige Aspekte eines Gegenstandes gerichtet werden. Die anderen Aspekte bleiben unberücksichtigt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der sogenannte „Umschüttversuch“, der eindrucksvoll verdeutlicht, dass die Höhe und die Grundfläche eines Gefäßes von Kindern im entsprechendem Alter nicht gleichzeitig in Betracht gezogen werden kann (siehe Beispiel zum Umschüttversuch in Kap 1). Ebenso ist eine Zentrierung auf einzelne Zustände zu beobachten. Das heißt, wenn sich die Umweltgegebenheiten verändern, kann das Kind die einzelnen Zustände nicht als Ergebnis von Umwandlungsvorgängen begreifen, sondern es betrachtet gewöhnlich jeden Zustand getrennt für sich. Im Zusammenhang mit dem Umschüttversuch bedeutet das, der Vorgang des Umschüttens kann gedanklich nicht rückgängig gemacht werden. Zudem ist das Kind nicht in der Lage alle relevanten Informationen zur Bewältigung eines Problems gleichzeitig zu verarbeiten, wodurch sich unmittelbar ergeben würde, dass im ursprünglichen Gefäß und im neuen Gefäß gleich viel Flüssigkeit sein muss. Kinder können die verschiedenen Teilaspekte nur nacheinander betrachten. Die Berücksichtigung eines Aspekts hat zur Folge, dass der andere Aspekt wieder aus dem Blickfeld verschwindet. Konzentriert sich das Kind z. B. auf die Höhe des Gefäßes, gerät die Breite aus dem Blickfeld und umgekehrt. Auch voreilige Generalisierungen sind typisch für diese Stufe. Die Umwelt kann von den Kindern zwar gedeutet werden, jedoch sind die Deutungen noch stark fehlerhaft bzw. unterliegen einer „kindlicher Logik“. So zeigen Kinder zum Beispiel sogenannte animistische Deutungen, indem sie unbelebte Gegebenheiten als belebt wahrnehmen und deuten. Allem, was sich bewegt (Wolken, Sonne, Mond etc.) werden in Analogie zu menschlichem Verhalten Absichten oder Gefühle zugeschrieben (siehe Beispiel zur kindlichen Erklärung der Wolkenbewegung in Kap. 1). Daneben sind auch finalistische Erklärungen typisch. Hier werden Naturerscheinungen aus ihrem Zweck heraus erklärt, z. B. „Der Mond scheint, damit wir uns nachts nicht verlaufen.“ Artifizialistische Deutungen dagegen unterstellen künstlich hergestellte Naturphänomene. So erklärt ein Kind z. B. ein Gebirge damit, dass „Riesen die Berge da hin gestellt haben“.
Kinder dieser Stufe besitzen die Fähigkeit, flexible und vollständig umkehrbare, geistige Operationen durchzuführen (Reversiblität geistiger Operationen). Sie begreifen, dass es zu jeder Operation eine Umkehroperation gibt, die den ursprünglichen Zustand wiederherstellt. Außerdem verfügen die Kinder nun über die Fähigkeit zur Dezentrierung das heißt, sie können ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf mehrere Merkmale eines Objekts oder Ereignisses richten und so die Beziehung zwischen den verschiedenen Dimensionen oder Merkmalen verstehen. Sie begreifen, dass Objekte mehr als eine Dimension besitzen (z. B. Größe und Gewicht) und dass diese Dimensionen voneinander getrennt betrachtet werden können. Zudem ist das Denken der konkret-operatorischen Stufe nicht mehr so sehr an die Wahrnehmung gebunden, sondern ermöglicht verstärkt logische Urteile (Entwicklung vom perzeptiven zum logischen Denken). Einige der bekanntesten Experimente, die Piaget durchführte demonstrieren die drei eben genannten Merkmale des konkret-operatorischen Denkens. Sie werden mit dem Begriff Invarianzprinzip oder Prinzip der Erhaltung umschrieben:
Das wohl populärste Experiment zur Erhaltung ist der sogenannte Umschüttversuch (Erhaltung der Flüssigkeitsmenge):
Der Umschüttversuch (kurz erklärt): Zwei gleich große Gläser werden mit Wasser gefüllt. Daraufhin wird das Kind gefragt in welchem Glas mehr Wasser ist. … Vor den Augen des Kindes wird der Inhalt eines Glases in ein schmaleres, höheres Glas umgeschüttet und das Kind erneut gefragt, in welchem mehr Flüssigkeit enthalten ist.
Kinder der präoperatorischen Stufe sagen oft aus, dass das höhere, schmalere Glas mehr Flüssigkeit enthält. Kinder der konkretoperatorischen Stufe begreifen hingegen, dass sich die Menge der Flüssigkeit, trotz der Veränderung im Aussehen nicht verändert.
Hier finden Sie einige weitere Beispiele für Aufgabenstellungen (Experimente), die das kindliche Denken der konkret-operatorischen Stufe verdeutlichen:
Dem Kind werden zwei gleich große Knetkugeln gezeigt. Der Forscher rollt eine Knetkugel flach aus. Die Kinder begreifen, dass sich die Masse einer Substanz nicht verändert, wenn ihre Gestalt verändert wird.
Dem Kind werden zwei gleichlange Reihen von Knöpfen gezeigt. Wenn das Kind bestätigt, dass die beiden Reihen aus derselben Anzahl von Knöpfen bestehen, vergrößerte der Forscher in einer Reihe die Abstände zwischen den Knöpfen. Kinder der präoperatorischen Stufe sagen meist aus, dass die längere Reihe mehr Knöpfe hat, da sie sich lediglich auf eine Dimension (die Länge) konzentrieren. Kinder der konkret-operatorischen Stufe konnten die Operation geistig umkehren (die Knöpfe in die ursprünglichen Positionen zurückführen), dezentrieren (sowohl Länge als auch Dichte berücksichtigen) und das Identitätsprinzip anwenden. Also hat sich trotz der neuen Lage die Anzahl der Knöpfe nicht verändert.
Ein weiteres Merkmal der konkret-operatorischen Stufe ist die Fähigkeit, Gegenstände nach quantifizierbaren Dimensionen wie z. B. dem Gewicht oder der Größe zu ordnen (sog. Reihenbildung). Kinder im Alter von acht Jahren können z. B. acht unterschiedlich lange Stäbe ihrer Größe nach ordnen.
In der konkret-operatorischen Stufe erfasst das Kind, dass viele Begriffe wie z. B. größer, kürzer und dunkler Beziehungen ausdrücken und nicht absolute Eigenschaften sind.
Das Verständnis für die Inklusion von Klassen verdeutlicht das logische Prinzip, nach dem es zwischen verschiedenen Kategorien hierarchische Beziehungen gibt. Die meisten Kinder im Alter von acht Jahren, denen man acht gelbe und vier braune Bonbons zeigt und fragt: „Liegen da mehr gelbe Bonbons oder mehr Bonbons?“, sagen: „Mehr Bonbons!“ Kinder in der konkret-operatorischen Stufe begreifen, dass manche Kategoriegruppen Bestandteile anderer Gruppen sind. So gehören gehören Kekse in die Kategorie Gebäck, Gebäck gehört in die größere Kategorie Nahrungsmittel usw. (siehe Kap. 3). Die Kinder begreifen, dass Objekte zu mehr als zu einer Kategorie gehören und mehr als eine Beziehung aufweisen können. Dieses Prinzip wird Multiplikation von Klassen oder Relationen genannt.
In dieser Phase nehmen die Problemlösungsstrategien der Kinder bzw. der Jugendlichen weiter zu und das Denken wird hypothetisch-deduktiv. Das heißt Denkoperationen können mit abstrakten, nicht mehr konkret vorstellbaren Inhalten durchgeführt werden. Die Jugendlichen sind in der Lage immer komplexere kognitive Operationen durchzuführen, flexibel zu denken und zu argumentieren sowie verschiedene Perspektiven einzunehmen. Merkmal dieser Stufe ist die Fähigkeit, über mögliche Probleme genauso nachzudenken wie über reale und systematisch nach Lösungen zu suchen. Ein Jugendlicher, der mit einem neuen Problem konfrontiert ist, versucht, alle möglichen Mittel zur Lösung zu berücksichtigen. Beim formal-operatorischen Denken werden die geistigen Operationen zu formalen Operationen strukturiert. Formale Operationen ermöglichen die Lösung einer ganzen Klasse von Problemen mit Hilfe abstrakter Regeln.
Ein typisches Experiment zur Verdeutlichung des Denkens auf dieser Stufe ist der sogenannte Pendelversuch.
Quelle und Literatur:
Greve, W. & Thomsen, T. (2019). Entwicklungspsychologie. EIne Einführung in die Erklärung menschlicher Entwicklung. Springer.
Gudjons, H. (2001). Pädagogisches Grundwissen (7. Auflage). Klinkhardt.
Montada, L. (1987). Die Geistige Entwicklung aus der Sicht Jean Piagets In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 413–462). Psychologie Verlags Union.
Myers, D. (2008). Psychologie (2. Auflage). Springer.
Piaget, J. (1969). Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. Klett.
Seel, N. M. & Hanke, U. (2015). Erziehungswissenschaft. Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende.Springer VS.
Die „heuristische Matrix“ ähnelt einer Tabelle, die vergleichend-strukturierende Ordnungskriterien im Tabellenkopf und im linken Tabellenrand vorgibt. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn es darum geht, Inhalte, Aspekte oder Phänomene in eine Beziehung zueinander zu setzen und analytisch in Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu vergleichen. Sie ist ein hilfreiches Instrument um verschiedene Aspekte eines Themas zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.
In der Regel empfiehlt es sich wie folgt vorzugehen:
Schritt 1: Thema finden
Überlege zunächst welches Thema in Form einer heuristischen Matrix bearbeitet werden soll.
Anmerkung: Denke an die Anwendungsbereiche:
Schritt 2: Matrix erstellen
Im zweiten Schritt geht es darum die Matrix zu erstellen. Dabei kann in unterschiedlicher Weise vorgegangen werden:
Anmerkung: Je nach Umfang des Themas und Art der anschließenden Präsentation kann eine Wandzeitung, Flipchart oder ein Bogen Papier in der Größe DIN A3 aber auch DIN A4 benutzt werden.
Schritt 3: Matrix füllen
Im dritten Schritt trägst du die erarbeiteten Inhalte entsprechend der Merkmale (Marginalien) in die Matrix ein.
Schritt 4: Matrix präsentieren
Im vierten Schritt stellst du deine Matrix dem Plenum, einer anderen Gruppe oder einem Partner vor. Dabei darf über die unterschiedlichen Lösungswege diskutiert werden.
Anmerkung: Beachte bitte, dass die Matrix lediglich komprimierte Inhalte des zu bearbeitenden Gegenstandes darstellt. Sie muss daher nicht „zu ausführlich“ sein.
Aufgabe: Drucke dir das nachfolgende „Memo-Spiel“ aus und spiele eine Runde, um dein Wissen zu überprüfen.
Bevor du dich im letzen Kapitel dieses Lernpakets mit der Reflexion deines Lernprozesses beschäftigst, möchten wir dir ein zusammenfassendes Lernvideo nicht vorenthalten.
Zum Abschluss:
Der YouTube-Kanal Sprouts Schulen stellt kostenlose Lernvideos unter einer Creative Commons Lizenz bereit. Das Lernvideo „Piaget‘s Theorie der Kognitiven Entwicklung“ haben wir Ihnen hier verlinkt. Wir empfehlen Ihnen den Kanal unbedingt mit einem Abo zu belohnen.
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Digitale Klasse: Begib dich zum vereinbarten Termin in die digitale Klasse. Deine Lernbegleiterin bzw. dein Lernbegleiter sendet dir eine Einladung mit den entsprechenden Informationen (Termin, Zugangsdaten bzw. -Link) zu.
Kooperativer Austausch: Nutze das Kursforum im Kursbereich deines LMS um dich über das zuvor bearbeitete Kapitel auszutauschen, zu diskutieren und ggf. offene Fragen zu klären.
Dieses Lernarrangement zitierst du so:
Niehoff, K. & Pongrac, L. (2020). Die kognitive Entwicklung nach J. Piaget. TafakariHub. https://tafakari.de/tafakarihub
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